Was steckt hinter dem "Berliner Bankenskandal" bzw. "Raubtierkapitalismus" ?Dieser Text ist die etwas überarbeitete Fassung eines Ergänzungstextes zu einem, auf der Kundgebung vom 19.07.2002 vor dem ICC in Berlin gegen die Berliner Bankgesellschaft verteilten Flugblatt Nieder mit den Spekulanten!" Wie jede Glosse/Satire enthält dieses Flugblatt eine Kernaussage. Diese ist die Kritik an allen Gruppen, die lediglich Symptome einer falschen Produktionsweise anprangern und sich an der Distributions- und Zirkulationssphäre des Kapitals abarbeiten, statt sich auf die Kritik der politischen ökonomie als Ganzes zu beziehen. Das bürgerliche Denken verbleibt leider zumeist auf der Fetischoberfläche des Verblendungszusammenhanges dieser Gesellschaft und läuft so in Gefahr, Phänomene und Probleme/Krisen dieser Wirtschaftsweise lediglich auf der Erscheinungsebene zu behandeln, sie aus dem komplexen Zusammenhang zu reissen und sie zu personifizieren. Angeprangert werden dann "böse" bzw. inkompetente Politiker, Manager - die "Spekulanten im Nadelstreifenanzug" - oder auch, wie im Spiegel 28/02 die "hemdsärmeligen Broker", die abgewählt, abgesetzt, zur Rechenschaft gezogen und durch seriösere ersetzt werden müssen. In besonders schweren Krisen(zeiten) neigt dieses Bewußtsein gar zu Verschwörungsideologien und sieht irgendwelche "Drahtzieher" und Verschwörerbanden im Hintergrund am Wirken. Besonders perfide sind darin die Nazis, die wieder einmal zum Bild einer herbeihalluzinierten "jüdischen Weltverschwörung" greifen und in einem autoritäten Staatsmodell unter ihrer Führung die Lösung sehen. Die bürgerlichen Medien - allen voran der Spiegel - brandmarken das, was in Deutschland bereits seit langer Zeit politökonomischer Brauch ist: die von Waigel propagierte "kreative Buchführung". Sie kritisieren dies jedoch nicht in Deutschland, sondern werfen dies "den Amis" vor und bezeichnen es als "Raubtierkapitalismus", der angeblich die gesamte Weltwirtschaft bedrohe. Dies ist nicht nur ein besonders dümmliches Ablenkungsmanöver (nach dem Motto: "Wir sind seriös, die Amis aber gefährliche Spekulanten"), sondern Kriegspropaganda auf dem Feld der Währungskonkurrenz Euro gegen Dollar. Ferner soll die deutsche Marktgemeinschaft ja stets wissen, wo der Hauptfeind von angeblichen Schmutzgeschäften auszumachen ist, während deutsche Müllentsorgungsanlagen samt Hintermännern schnell gecleant werden. Bekanntlich ist auch der dicke Oggersheimer wieder in den Kreis der Ehrenmänner aufgenommen worden. Sie sind halt - Pack schägt sich, Pack verträgt sich - immer wieder schnell aus dem Schneider&Schreiber und dürfen dann weiter anständig aussitzen.
Allen gemeinsam ist das Denken, dass es einen "guten" bzw. funktionierenden Kapitalismus ohne tiefgreifende Krisen mit Aufhebungstendenzen der bürgerlichen ökonomie geben könne, wenn er nur mit den "richtigen Leuten" (ökonomen und Staatsmännern) an der Spitze besetzt sei und anders, besser sowie "vernünftiger" geregelt bzw. be- und gesteuert würde. Die linken wie die rechten Protestler verhalten sich dann gleichermassen wie Sanitäter am Totenbett des Kapitalismus und versuchen diese Wirtschaftsweise - freilich mit unterschiedlichen Methoden, die jedoch in letzter Instanz auf das gleiche hinauslaufen - zu retten. Während die linken sich immer wieder mit scheinbar neuen Rezepten und Kuren für die Wirtschaft bemerkbar machen, gehen die Rechten den Weg, den sie immer schon gegangen sind und rufen: "Hau weg den Scheiss!", womit sie alle meinen, die den Staat für "antinationale" und "volksschädliche" Unternehmungen benutzen.
Alle Theoretiker, die sich wissenschaftlich (und das bedeutet auch kritisch) mit den Gesetzen der bürgerlichen ökonomie beschäftigten, haben uns klargemacht, dass diese Wirtschaftsweise irgendwann aufgrund innerer Gesetze und Widersprüche an ihr Ende gelangt und deshalb aufgehoben (1) werden muss.
Da das Bewusstsein zumeist den materiellen Tatsachen hinterherhinkt und nicht hinter den Verblendungszusammenhang zu schauen im stande ist sowie der Tatsache, dass die bürgerliche Gesellschaft den Ideologien, dem Eklektiszismus (2) und der instrumentellen Vernunft (3) huldigt, statt der Wissenschaft, können leider die meisten der heutigen Zeitgenossen die Krisensymptome nicht mit der Hauptkrise dieses Systems: der Überakkumulationskrise (4) in Verbindung bringen. Die Überakkumulation ist aber auch wiederum nur ein Symptom der Aushöhlung des Wertgesetzes durch den Produktivitätssprung der wissenschaftlich-technischen Revolution. Diese deutet bereits auf der Produktivkraftebene auf die kommunistische Gesellschaft, in der die Güterproduktion nicht mehr vom Wert abhängig ist.
Doch nun einiges mehr zu Funktionsweise dieses Systems:
Die bürgerliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Sachzwänge und des bornierten Egos, in dem jeder den anderen als Mittel nutzt, um sich durch ihn Vorteile zu verschaffen. Dinge – und insbesondere das Ding Geld – werden als das Eigentliche&Wesentliche, als "Hauptsache", Menschen jedoch als das Uneigentliche, Unwesentliche und Nebensache wahrgenommen bzw. sie dienen lediglich als Vehikel, um "die Dinge am Laufen zu halten" und der "Hauptsache" zu dienen. Redewendungen wie "Die Freundschaft mit xy bringt mir nichts mehr" drücken dies aus, auch wenn sie sich vielleicht auf persönliche Nervereien beziehen.
Solange, wie die Armen, die in "grauer Vorzeit" gewaltsam von ihren Produktionsmitteln enteignet wurden, dies mit sich machen lassen und immer mehr Reichtum produzieren und so lange sich der Reichtum in den Händen einiger weniger amortisiert, d.h. nocht nicht an seine Grenze stösst, ist das System nicht in Krise. Doch irgendwann gibt es zu viel Kapital für zu wenig Käufer und die Wirtschaft stagniert. Da wir bereits seit dem letzten Jahrhundert eine Weltwirktschaft haben (und nicht erst seit heute, wie der Begriff "Globalisierung" suggeriert), können wir die Akkumulationskrisen des letzten Jahrhunderts und ihre Auswirkungen bestens studieren und sie zeigen uns spezifische Gesetzmässigkeiten auf, wie die Bourgeoisie zur Rettung des Kapitals darauf reagiert: Momentan erleben wir die Weichenstellung hin zum dritten Weltkrieg, der als "Antiterrorkrieg" daherkommt und in dem die verfeindeten Brüder noch als gemeisame Kriegsvasallen gegen angebliche "Zivilisationsfeinde" und die "Achse des Bösen" vorgehen. Was aber ist, wenn der gemeinsame Feind geschlagen und Böse vernichtet ist und sich die systemimmanente Krise aufgrund hoher faux frais Kosten noch weiter zugespitzt hat bzw. die USA beim Wiederaufbau von z.B. Irak, Iran, Sudan etc. den Verbündeten nichts abgeben will? In der Frage des Krieges gegen den Irak scheint der europäische Imperialismus zu einer heuchlerischen Friedensoffensive überzugeben, um sich als Alternative zu den "bösen Amis" anzubieten.
Doch lassen wir dieses Szenario nun Szenario bleiben und wenden uns wieder den Grundstrukturen dieses Systems zu:
Den Kern kapitalistischer Produktion und Akkumulation von Kapital bildet die Produktion von Produktionsmitteln, die von Konsumtionsmittelindustrie gestützt wird. Sowohl Produktions- wie auch Konsumtionsmittel werden als Waren für einen anonymen und anarchischen Markt produziert, d.h. die Kapitalbesitzenden und ihre Manager wissen bei Einrichtung und Aufbau ihrer Fabriken nicht, ob die darin herzustellenden Produkte auf lange Sicht genügend Käufer, d.h. Nachfrage finden.
Die Arbeitenden arbeiten um ihren Monatslohn zu bekommen, wissen jedoch zumeist nicht, wohin die von ihnen hergestellten Produke geliefert und verkauft werden bzw. wer sie wozu nutzt. Sie produzieren für einen anonymen Markt und sind auch dem anonymen Arbeitsmarkt ausgeliefert. Dies bedeutet, dass niemand, der eine Ausbildung beginnt, genau weiß, ob und wie lange sein Beruf Zukunft hat und er damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Die Arbeitenden, die ihre Ware Arbeitskraft verkaufen, sind also völlig der sinnlichen Wahrnehmung beraubt, was mit ihren d.h. von ihnen hergestellten Arbeitsprodukten passiert, denn sie gehören ihnen nicht und sie haben keine Mitbestimmung darüber. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die gesamte Wirtschaftsweise der sogenannten "Selbstverwertung des Wertes" eine entfremdete ist, d.h. alle gesellschaftlichen Individuen dominiert. Darin enthalten ist der Widerspruch und die Entfremdung zwischen Produktion und Markt sowie Gebrauchs- und Tauschwert. Auch die Kommandeure über fremde Arbeitskraft sind lediglich Charaktermasken ihres Systems und seinen Gesetzen unterworfen. Das heisst: Sie beuten uns, nicht weil sie so "böse" sind aus, sondern weil sie aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess dazu gezwungen sind. Dieser Zwang ergibt sich auch aus der Konkurrenz der Kapitale gegeneinander, die von dem sozialdarwinistischen Prinzip des "fressens oder gefressen werdens" beherrscht wird. Allerdings stehen sie ihrer Wirtschaftsweise grundsätzlich positiv und affirmativ gegenüber, da sie als Klasse sich ihm als Eigentümer und Macher gegenüber verhalten. Ferner ist es mittelerweile kein Privateigentum mehr, sondern ein in Trusts und Kartellen sowie per Aktienkapital organisiertes und von Banken und Aufsichtsräten vergesellschaftetes Eigentum. Dies bedeutet auch, dass das Kapital mit dem bürgerlichen Staat verschmolzen ist. Der sogenannte "Neoliberalismus" will dies – obwohl völlig anachronistisch – wieder rückgängig machen und setzt auf unternehmische Initiative gegen den "schwerfälligen Staat". Doch egal, ob der Staatssektor dominierend ist oder das "Privatkapital" wieder mehr die globale Marktwirtschaft bestimmt: der Staat wird so oder so zunehmend repressiv und militaristisch. Dies auf Basis seiner eigenen politischen Krise innerhalb der transnationalen Globalisierung (die globale ökonomie wird nicht mehr von nationalen Politikern, sondern von supranationalen Institutionen, wie IWF, Weltbank, UNO kontrolliert und gemanaged, worin es natürlich auch imperialistische Interessensunterschiede gibt) und der heutigen globalen Akkumulationskrise. Er tritt die "Flucht nach vorn" in den Krieg an, indem er sich mit den Interessen der nationalen Rüstungslobby verbündet.
Doch kommen wir nun zum Schluß der Analyse der Fragestellung "Was steckt hinter dem Berliner Bankenskandal":
Die Macht der Herren des Produktionsmittelprozesses samt ihres Staates ist so groß, dass sie sich auf Kosten der Arbeitenden hemmungslos bereichern sowie Betriebe verlagern und dichtmachen können, ohne dass es dagegen bislang nennenswerten Widerstand gab. Die sogenannte "Unverfrorenheit" der Spekulationsgeschäfte samt der politischen Entscheidung, sie zu vertuschen und zu Lasten der Berliner Arbeiterklasse aufzufangen bzw. zu einem sozialpolitischen Kahlschlag auszuholen, basiert im Wesentlichen darauf, dass die ausgebeutete und im gesellschaftlichen Produktionsprozess entfremdete Klasse ihre Theorie und Strategie in der Rückeroberung der Selbstbestimmung mit dem Ziel der Aneignung und freundlichen übernahme der gesellschaftlichen Produktion noch nicht gefunden hat. Doch was wäre eine Analyse und Kritik ohne Lösungsvorstellung, d.h. ohne sogenannter "Negation der Negation"? Nichts, denn sie würde im "perennierenden Widerspruch" oder der "schlechten Unendlichkeit" stecken bleiben. Deshalb widmen wir uns nun der Strategie der überwindung der Krise, die ein gutes Leben für uns alle beinhalten soll: Auch wenn die Kämpfe und die Selbstbestimmung der Arbeitenden dort noch nicht in den strategisch wichtigen Sektoren Fuß gefasst hat: Wenden wir unsere Blick kurz nach Argentinien. Seit Dezember 2001 organisieren sich dort die von der Krise gebeutelten Menschen und machen eine Demonstration und eine Strassenblockade nach der anderen. Wichtiger aber als die Protestaufmärsche sind die "Assembleas", die Stadtteilversammlungen, auf denen sich die Arbeitslosen und Arbeitenden verständigen und austauschen sowie die über 100 Fabrikbesetzungen. Sie werden jedoch langfristig nur Erfolg haben, wenn sie sich mit den Arbeitenden in den strategisch wichtigen Sektoren – nicht nur in Argentinien - zusammenschliessen und die Produktionsstätten des konkreten Reichtums, die Fabriken zum Wohl der Arbeitenden, der Bevölkerung nutzen. Eine selbstbestimmte Produktionsweise beinhaltet die Produktion von Gütern gemäß den Bedürfnissen der Arbeitenden selbst, also gute Lebensmittel (wobei unter Lebensmittel auch menschenwürder Wohnraum subsummiert ist). Diese Lebensmittel haben dann nur noch Gebrauchsqualität und keinen Tauschwert mehr, d.h. sie kommen nicht mehr als Waren auf einen Markt, sondern werden kostenlos verteilt. In diesen kollektiven und schöpferischen Produktionsprozess sind alle gemäss ihren Fähigkeiten und Kenntnissen - die sich jedoch durch kollektive Lernprozesse weiterentwickeln und verändern - involviert. Wir sind alle gleichermaßen Produzent/innen und Konsument/innen, Lehrer/innen und Lernende. Wir sind morgens Bäcker/innen und nachmittags Dichter/innen. Wir sind übermorgen früh Webdesigner/innen und übermorgen nachmittag Köch/innen sowie Spielgefährt/innen der Kinder. Und abends/nachts verschmelzen unsere Träume mit denen der humanistischen Dichter/innen und Denker/innen sowie den Wünschen und schönen Märchen unserer Kinder und unserer eigenen Kindheit. Damit dies keine unerfüllte Zukunftsmusik bzw. Utopie bleibt, sondern ein konkretes Ziel wird, müssen wir uns dafür organisieren! Ihr alle könnt daran mitwirken. Wir könnten in Berlin z.B. auf der Preisebene des Mietzinses anfangen. Weil die "Berliner Bankenkrise" durch Spekulationen im Wohnungsbau und Immobilienbereich seinen Ausgangs- und gleichzeitig Kristallisationspunkt hat, sollten wir selbstbestimmt und gemeinsam die Mieten reduzieren. Laßt uns also nur einen Euro pro Quadratmeter zahlen, damit davon die Betriebskosten finanziert werden! Dies müssen natürlich möglichst viele tun und sich auch gegen die Räumungsverfahren und Zwangsräumungen wehren. Eine weitere sinnvolle Strategie wäre ein Steuerboykott auf der Zirkulationsebene. Wir müssen ausrechnen, wieviel Prozent Steuern auf die Endverbraucherpreise aufgeschlagen werden (und dies ist mehr, als die 16 % Mehrwertsteuer) und diesen Betrag dann einbehalten und in einen "Sozialfonds" überführen. Auch dies sollten viele gemeinsam machen - und am besten Geschäfte finden, die das mit unterstützen. Natürlich dürfen wir dabei nicht stehenbleiben, denn wir wollen ja in den Produktionsprozess vorstoßen und müssen dazu bei unseren eigenen Bedürfnissen sowie denen der gesamten Berliner Bevölkerung ansetzen. Wir sollten dazu eine Untersuchung machen, die wir am besten in Form von Befragungen und Interviews machen können. Besorgt Euch einfach einen preiswerten Kassettenrecorder und fangt bei Euch selbst, in Euren Freundes- und Bekanntenkreis sowie der Nachbarschaft an. Anschliessend könnt Ihr dann auf Arbeitsämter, Wochenmärkte, in Einkaufszentren oder auch in (Stadtteil-)Bibliotheken gehen und dort die Befragung weiterführen. Es bietet sich auch an, die Interviewten zu Meetings einzuladen (siehe weiter unten), damit sie mit ihren Wünschen und Lebensperspektiven in Kontakt zu anderen kommen und aus ihrer Atomisierung/Isolation herauskommen.
Mit folgenden Fragen haben wir bereits experimentiert:
Wer Lust und Interesse hat, kann uns zwecks Umsetzung dieser Strategie bzw. Begleitung bei Interviews gern kontaktieren und er/sie wird dann selbstverständlich dazu eingeladen.
(1) Aufheben bedeutet folgendes: 1. Das, was als sinnlos, anachronistisch
und schädlich angesehen wird, wird auf den Müllhaufen der Geschichte
geworfen. 2. Das, was im Alten als Gut/gut und sinnvoll erachtet wird, wird mitgenommen
und 3. auf eine höhere Ebene gebracht und dabei transformiert.
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